Zians-Haas Rechtsanwälte

Sterbehilfe in Belgien - Welche Bedingungen ?

22.11.2007

Unter welchen Bedingungen ist Euthanasie in Belgien erlaubt ?

1. Definition :  Sterbehilfe

Unter Sterbehilfe ist auf Grund des Gesetzes vom 28.5.2002 die von einer Drittperson ausgeführte Handlung zu verstehen, durch die dem Leben einer Person auf deren Bitte hin vorsätzlich ein Ende gesetzt wird.


2. Bedingungen und Vorgehensweise

2.1. Ein Arzt, der Sterbehilfe leistet, begeht keine Straftat, wenn er sich vergewissert hat:

- dass der Patient eine volljährige Person oder eine für mündig erklärte minderjährige Person ist, die zum Zeitpunkt ihrer Bitte handlungsfähig und bei Bewusstsein ist,

- dass die Bitte freiwillig, überlegt und wiederholt formuliert worden ist und nicht durch Druck von außen zustande gekommen ist,

- dass der Patient sich in einer medizinisch aussichtslosen Lage befindet und sich auf eine anhaltende, unerträgliche körperliche oder psychische Qual beruft, die nicht gelindert werden kann und die Folge eines schlimmen und unheilbaren unfall- oder krankheitsbedingten Leidens ist,
und die durch vorliegendes Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen und Vorgehensweisen beachtet.

2.2. Der Arzt muss vorher und in allen Fällen:

1. den Patienten über dessen Gesundheitszustand und Lebenserwartung informieren, sich mit dem Patienten über dessen Bitte um Sterbehilfe beraten und mit ihm die noch verbleibenden Therapiemöglichkeiten und die Möglichkeiten, die die Palliativpflege bietet, sowie die jeweiligen Folgen besprechen. Er muss mit dem Patienten zu der Überzeugung kommen, dass es für die Lage, in der Letzterer sich befindet, keine andere vernünftige Lösung gibt und dass die Bitte seitens des Patienten auf völlig freiwilliger Basis beruht,

2. sich des anhaltenden Charakters der körperlichen oder psychischen Qual des Patienten und der Wiederholung seiner Bitte vergewissern. Zu diesem Zweck führt er mit dem Patienten mehrere Gespräche, die unter Beachtung der Entwicklung des Gesundheitszustands des Patienten über einen annehmbaren Zeitraum verteilt sind,

3.   einen anderen Arzt zu Rat ziehen hinsichtlich des schlimmen und unheilbaren Charakters des Leidens und diesen Arzt über die Gründe dieser Konsultierung informieren. Der zu Rat gezogene Arzt nimmt von der medizinischen Akte Kenntnis, untersucht den Patienten und vergewissert sich des anhaltenden, unerträglichen und unlinderbaren Charakters der körperlichen oder psychischen Qual. Über seine Feststellungen erstellt er einen Bericht.

Der zu Rat gezogene Arzt muss sowohl dem Patienten als auch dem behandelnden Arzt gegenüber unabhängig sein und fachkundig sein, was die Beurteilung der betreffenden Erkrankung betrifft. Der behandelnde Arzt setzt den Patienten von den Ergebnissen dieser Konsultierung in Kenntnis,

4.   wenn es ein Pflegeteam gibt, das regelmäßig mit dem Patienten in Kontakt ist, mit diesem Team oder mit Mitgliedern dieses Teams über die Bitte des Patienten reden,

5.   wenn es dem Wunsch des Patienten entspricht, mit den von ihm bestimmten Angehörigen über seine Bitte reden,

6. sich vergewissern, dass der Patient Gelegenheit gehabt hat, mit den Personen, denen er zu begegnen wünschte, über seine Bitte zu reden.

2.3. Ist der Arzt der Meinung, dass der Tod offensichtlich nicht in absehbarer Zeit eintreten wird, muss er außerdem:

-   einen zweiten Arzt, der Psychiater oder Facharzt für die betreffende Erkrankung ist, zu Rat ziehen und ihn über die Gründe dieser Konsultierung informieren. Der zu Rat gezogene Arzt nimmt von der medizinischen Akte Kenntnis, untersucht den Patienten und vergewissert sich des anhaltenden, unerträglichen und unlinderbaren Charakters der körperlichen oder psychischen Qual und des freiwilligen, überlegten und wiederholten Charakters der Bitte des Patienten. Über seine Feststellungen erstellt er einen Bericht. Der zu Rat gezogene Arzt muss sowohl dem Patienten als auch dem behandelnden Arzt und dem zuerst zu Rat gezogenen Arzt gegenüber unabhängig sein. Der behandelnde Arzt setzt den Patienten von den Ergebnissen dieser Konsultierung in Kenntnis,

-      mindestens einen Monat vergehen lassen zwischen der schriftlich formulierten Bitte des Patienten und der Leistung der Sterbehilfe.

2.4.             Formbedingungen

Die Bitte des Patienten muss schriftlich festgehalten werden. Das Dokument wird vom Patienten selbst erstellt, datiert und unterzeichnet. Ist er dazu nicht in der Lage, wird seine Bitte schriftlich festgehalten von einer volljährigen Person seiner Wahl, die am Tod des Patienten keinerlei materielles Interesse haben darf.

Diese Person erwähnt den Umstand, dass der Patient nicht in der Lage ist, seine Bitte schriftlich zu formulieren, und gibt die Gründe dafür an. In diesem Fall wird die Bitte im Beisein des Arztes schriftlich festgehalten und besagte Person erwähnt den Namen dieses Arztes auf dem Dokument. Dieses Dokument muss der medizinischen Akte beigefügt werden.

Der Patient kann seine Bitte zu jeder Zeit widerrufen; in diesem Fall wird das Dokument aus der medizinischen Akte herausgenommen und dem Patienten zurückgegeben.

Alle vom Patienten formulierten Bitten und die vom behandelnden Arzt unternommenen Schritte und ihr Ergebnis, einschließlich des Berichtes beziehungsweise der Berichte des zu Rat gezogenen Arztes beziehungsweise der zu Rat gezogenen Ärzte, werden regelmäßig in der medizinischen Akte des Patienten aufgezeichnet.


3. Vorgezogene Willenserklärung

3.1. Jeder handlungsfähige Volljährige oder für mündig erklärte Minderjährige kann für den Fall, dass er seinen Willen nicht mehr äußern könnte, in einer Erklärung schriftlich seinen Willen kundgeben, ein Arzt möge ihm Sterbehilfe leisten, wenn dieser Arzt feststellt:

- dass er von einem schlimmen und unheilbaren unfall- oder krankheitsbedingten Leiden befallen ist,

- dass er nicht mehr bei Bewusstsein ist

- und dass diese Situation nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft unumkehrbar ist.

In der Willenserklärung können eine oder mehrere volljährige Vertrauenspersonen in Vorzugsreihenfolge angegeben werden, die den behandelnden Arzt vom Willen des Patienten in Kenntnis setzen. Jede Vertrauensperson ersetzt in der Vorzugsreihenfolge diejenige, die ihr vorangeht, wenn diese wegen Ablehnung, Verhinderung, Handlungsunfähigkeit oder im Todesfall ausfällt. Der behandelnde Arzt des Patienten, der zu Rat gezogene Arzt und die Mitglieder des Pflegeteams dürfen nicht als Vertrauenspersonen angegeben werden.

Die Willenserklärung kann zu jeder Zeit abgegeben werden. Sie muss schriftlich festgehalten und im Beisein zweier volljähriger Zeugen aufgesetzt werden, von denen zumindest einer kein materielles Interesse am Tod des Erklärenden hat; auch muss sie vom Erklärenden, von den Zeugen und gegebenenfalls von der Vertrauensperson beziehungsweise von den Vertrauenspersonen datiert und unterzeichnet werden.

Wenn die Person, die eine vorgezogene Willenserklärung abgeben möchte, dauerhaft körperlich nicht in der Lage ist, die Erklärung aufzusetzen und zu unterzeichnen, kann die Willenserklärung von einer volljährigen Person ihrer Wahl, die keinerlei materielles Interesse am Tod des Erklärenden haben darf, im Beisein zweier volljähriger Zeugen, von denen zumindest einer kein materielles Interesse am Tod des Erklärenden hat, schriftlich festgehalten werden. In der Willenserklärung muss dann vermerkt werden, dass und warum der Erklärende die Erklärung nicht aufsetzen und unterzeichnen kann. Die Willenserklärung muss von der Person, die die Erklärung schriftlich festgehalten hat, von den Zeugen und gegebenenfalls von der Vertrauensperson beziehungsweise von den Vertrauenspersonen datiert und unterzeichnet werden.

Der Willenserklärung wird ein ärztliches Attest beigefügt, aus dem hervorgeht, dass der Betreffende dauerhaft körperlich nicht in der Lage ist, die Erklärung aufzusetzen und zu unterzeichnen.

Die Willenserklärung kann nur berücksichtigt werden, wenn sie weniger als fünf Jahre vor Beginn der Unmöglichkeit des Betreffenden, seinen Willen zu äußern, erstellt oder bestätigt worden ist.

Die Willenserklärung kann zu jeder Zeit zurückgezogen oder angepasst werden.

3.2. Ein Arzt, der infolge einer vorgezogenen Willenserklärung Sterbehilfe leistet, begeht keine Straftat, wenn er sich vergewissert hat:

- dass der Patient von einem schlimmen und unheilbaren unfall- oder krankheitsbedingten Leiden befallen ist,

- dass der Patient nicht mehr bei Bewusstsein ist

- und dass diese Situation nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft unumkehrbar ist,

-         und die durch vorliegendes Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen und Vorgehensweisen beachtet.

Der Arzt muss jedoch vorher:

1. einen anderen Arzt zu Rat ziehen hinsichtlich der Unumkehrbarkeit der medizinischen Situation des Patienten und diesen Arzt über die Gründe dieser Konsultierung informieren. Der zu Rat gezogene Arzt nimmt von der medizinischen Akte Kenntnis und untersucht den Patienten. Über seine Feststellungen erstellt er einen Bericht. Wenn in der Willenserklärung eine Vertrauensperson angegeben worden ist, setzt der behandelnde Arzt diese Vertrauensperson von den Ergebnissen dieser Konsultierung in Kenntnis.

Der zu Rat gezogene Arzt muss dem Patienten und dem behandelnden Arzt gegenüber unabhängig sein und fachkundig sein, was die Beurteilung der betreffenden Erkrankung betrifft,

2. wenn es ein Pflegeteam gibt, das regelmäßig mit dem Patienten in Kontakt ist, mit diesem Team oder mit Mitgliedern dieses Teams über den Inhalt der vorgezogenen Willenserklärung reden,

3. wenn in der Willenserklärung eine Vertrauensperson angegeben worden ist, mit ihr über den Willen des Patienten reden,

4. wenn in der Willenserklärung eine Vertrauensperson angegeben worden ist, mit den von der Vertrauensperson bestimmten Angehörigen des Patienten über den Inhalt der vorgezogenen Willenserklärung des Patienten reden.

Die vorgezogene Willenserklärung und alle vom behandelnden Arzt unternommenen Schritte und ihr Ergebnis, einschließlich des Berichtes des zu Rat gezogenen Arztes, werden regelmäßig in der medizinischen Akte des Patienten aufgezeichnet.


4. Meldung

Ein Arzt, der Sterbehilfe geleistet hat, reicht binnen vier Werktagen das erforderliche Registrierungsdokument ordnungsgemäß ausgefüllt bei der Föderalen Kontroll- und Bewertungskommission ein. 
 

5. Kein Zwang zur Mithilfe

Die Bitte und die vorgezogene Willenserklärung haben keinen zwingenden Charakter.

Ein Arzt kann nicht gezwungen werden, Sterbehilfe zu leisten.

Auch eine andere Person kann nicht gezwungen werden, sich an der Leistung von Sterbehilfe zu beteiligen.

Wenn der zu Rat gezogene Arzt es ablehnt, Sterbehilfe zu leisten, muss er den Patienten oder die eventuelle Vertrauensperson rechtzeitig davon in Kenntnis setzen und dabei die Gründe für seine Ablehnung angeben. Beruht die ablehnende Haltung auf einem medizinischen Grund, muss dieser Grund in der medizinischen Akte des Patienten aufgezeichnet werden.

Ein Arzt, der es ablehnt, einer Bitte um Sterbehilfe nachzukommen, ist verpflichtet, auf Anfrage des Patienten oder der Vertrauensperson dem vom Patienten oder von der Vertrauensperson angegebenen Arzt die medizinische Akte des Patienten zu übermitteln.

 
6. Auswirkung auf Versicherungsverträge

In Bezug auf eine Person, die infolge der ihr unter Einhaltung der durch vorliegendes Gesetz auferlegten Bedingungen zuteil gewordenen Sterbehilfe verstorben ist, wird, was die Erfüllung der Verträge, in denen sie als Vertragspartei auftritt, und insbesondere was die Erfüllung der Versicherungsverträge betrifft, davon ausgegangen, dass sie eines natürlichen Todes gestorben ist

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