Nichtigkeit einer Verfahrensunterlage wegen Verstoß gegen Sprachengesetzgebung bleibt von Amts wegen festzustellen
22.09.2019Durch Entscheid vom 19. September 2019 (n°120/2019) annullierte der Verfassungsgerichtshof die neue Gesetzgebung bezüglich der Nichtigkeit von Verfahrensunterlagen bei Missachtung der Sprachengesetzgebung.
Die annullierte Gesetzesabänderung* sah vor, dass die Nichtigkeit einer Verfahrensunterlage wegen Verstoß gegen die Sprachengesetzgebung** künftig nicht mehr von Amts wegen festgestellt werden kann, sondern dass sie nur durch die Parteien, die ein Interesse nachweisen, in limine litis (vor jedem anderen Rechtsmittel) aufgeworfen werden kann.
Mit anderen Worten, die Nichtigkeit kann nur zu Beginn durch die Parteien geltend gemacht werden, die darüber hinaus den Nachweis erbringen müssen, dass ihre Interessen verletzt wurden.
Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die neue Regelung die Verfassung und grundlegende Rechtsprinzipien missachtet.
Wenn der Richter nicht mehr die Möglichkeit hat die Nichtigkeit einer Verfahrensunterlage (z.B. einer Expertisen, der Schlussanträge, usw.) von Amts wegen festzustellen, so besteht das Risiko, dass er keine andere Wahl hat als die jeweilige Verfahrensunterlage in einer anderen Sprache als die vorgeschriebene zu analysieren. Der Richter wäre somit gezwungen Verfahrensunterlagen zu verstehen, die in einer anderen Sprache verfasst sind, als die die er dem Gesetz nach beherrschen muss. Eine solche Regelung widerspricht dem Recht auf einen fairen Prozess.
Erbringt eine Partei nicht den Nachweis der Benachteiligung seiner Interessen oder vergisst sie das Sprachenproblem rechtzeitig geltend zu machen (in limine litis), so wäre sie ebenfalls gezwungen die Verfahrensunterlage in einer anderen Sprache zu verstehen. Dies würde ihre Verteidigungsrechte missachten.
Des Weiteren hätte die neue Regelung zur Folge, dass mehrere Sprachen in einem Verfahren benutzt werden können. Das Gesetz über den Sprachengebrauch baut hingegen auf dem grundlegenden Prinzip des einsprachigen Verfahrens auf.
Außerdem wäre der Vorrang der Sprache(n) des jeweiligen Sprachengebietes ebenfalls nicht gewährleistet und es gäbe eine gewisse Rechtsunsicherheit bezüglich der anzuwendenden Sprachenregelung.
Aus diesen Gründen beschloss der Verfassungsgerichtshof die Gesetzesänderung in diesem Punkt zu annullieren*.
Die Nichtigkeit einer Verfahrensunterlage im Falle einer Missachtung der Sprachengesetzgebung bleibt somit von Amts wegen festzustellen.
Es handelt sich weiterhin um ein Mittel öffentlicher Ordnung.
* Art 5 des Gesetzes vom 25. Mai 2018 zur Verringerung und Neuverteilung der Arbeitslast innerhalb des gerichtlichen Standes
** Gesetz vom 15. Juni 1935 über den Sprachengebrauch in Gerichtsangelegenheiten